Zuverlässigkeit der Daten
Vom Entstehungszusammenhang her sind individuelle und institutionelle Quellen zu unterscheiden, die jeweils Vor- und Nachteile beinhalten bzw. eine spezifische quellenkritische Behandlung erfordern. Sie ergänzen aber einander in der Regel.
Institutionelle Quellen
Ein wesentlicher Teil der klimageschichtlichen Quellen wurde durch Institutionen (z.B. Hospitäler, kirchliche, militärische oder zivile Behörden) angelegt. Diese dokumentierten darin ihre Aktivitäten, z.B. in Form von einer Buchhaltung, die häufig einen engen Bezug zur Landwirtschaft aufwies. Klimageschichtliche Aussagen lassen sich in der Regel aus dem klima- und witterungsbedingten Zeitpunkt solcher Aktivitäten gewinnen. Einschlägige Daten in institutionellen Quellen fallen während der gesamten Lebenszeit einer Institution bzw. der Aufrechterhaltung der entsprechenden Dokumentationspraxis regelmässig an, oft während mehrerer Jahrhunderte. Sie lassen sich leicht quantifizieren und statistisch mit instrumentellen Messdaten verknüpfen (siehe Auswertung). Allerdings lassen sich aus den entsprechenden Daten oft nur Schätzwerte für einen mehrmonatigen Zeitraum gewinnen.
Individuelle Quellen
Beobachtungen von Individuen sind zeitlich teilweise sehr hoch, unter Umständen sogar nach Tagen, aufgelöst (vgl. Wettertagebücher). Sie schliessen alle Wetterelemente ein, die zur Beschreibung eines Ereignisses nötig erscheinen, und verweisen allenfalls auf Klimafolgen, angenommene Ursachen und (Gegen-)Massnahmen von Behörden und Haushalten. Dagegen sind sie in der Auswahl der Ereignisse, teilweise auch in deren Bewertung, subjektiv. Sie weisen Lücken auf und enden spätestens mit dem Tod eines Chronisten. Originalaufzeichnungen innerhalb der Lebenszeit eines Chronisten sind im Grossen und Ganzen zuverlässig. Abschriften von Dokumenten und Kompilationen, d.h. die chronologische Auflistung von Beschreibungen extremer Klimaanomalien und (Natur-)Katastrophen aus unterschiedlichen Quellen, enthalten dagegen häufig Datierungsfehler. Deshalb unterscheidet Euro-Climhist strikt zwischen zeitgenössischen und nicht zeitgenössischen Daten.
Historische Dokumentendaten von Individuen und Institutionen ergänzen und stützen einander in den meisten Fällen. So schrieb beispielsweise der Schaffhauser Chronist Hans Stockar zum Jahr 1522: „Im April, Mai und Juni regnete es sehr und war kalt. Um vor Kälte nicht zu erfrieren, musste ich am Heiligen Tag von Pfingsten [8. Juni] einen Pelzrock anziehen, und etliche Leute heizten ihre Stube“. Diese individuelle Quelle enthält somit klare Aussagen zur Witterung in den Monaten April, Mai und Juni. Ob es in diesen Monaten kalt oder warm, trocken oder feucht war, hat auch massgeblichen Einfluss auf die Erntedaten für Wintergetreide sowie auf die Weinlese. Kombiniert man nun Stockars Aussage mit den Ergebnissen zu Weinlese- und Getreideerntedaten, die auf der Basis von wirtschaftsgeschichtlichen, von Institutionen verfassten Quellen erstellt wurden (z.B. Wetter, Pfister 2011; Wetter et al. 2013), so kommt man zu einem homogenen Befund: Die drei bei Stockar als sehr kalt beschriebenen Monate verzögerten in der Tat die Getreideernte und die Weinlese im Jahr 1522 beträchtlich.
Euro-Climhist: Abfrage-Ergebnis für das Jahr 1522
1522-April / sehr kalt / Schaffhausen (SH) / S: Stockar, Chronik
1522-Mai / sehr kalt / Schaffhausen (SH) / S: Stockar, Chronik
1522-Juni / sehr kalt / Schaffhausen (SH) / S: Stockar, Chronik
1522-Juni / Nebel, veränderlich / Schaffhausen (SH) / S: Stockar, Chronik
1522-Juli 28 / Roggenernte beginnt (209 Tage nach Neujahr): spät / Schweizer Mittelland / S: Wetter, Pfister 2011
1522-Oktober 21 / Weinlese beginnt (294 Tage nach Neujahr): spät / Schweizer Mittelland / S: Wetter et al. 2013
Datierung
Die korrekte Datierung stellt für die Klimageschichtsforschung eine zusätzliche Herausforderung dar. Im Jahre 1582 führte Papst Gregor XIII. den nach ihm benannten Gregorianischen Kalender ein, der den seit der Römerzeit gültigen Julianischen Kalender ablöste. Da ein Sonnenjahr nicht genau 365 Tage und sechs Stunden umfasst, sondern etwas mehr als elf Minuten weniger, war es zwischen dem Kalenderstand und dem tatsächlichen Sonnenstand zu einer Verschiebung von rund einem Tag pro Jahrhundert gekommen. Daher verfügte Gregor XIII., dass die Tage zwischen dem 4. und 15. Oktober 1582 ausfielen (und zudem in Zukunft einzelne Schaltjahre in den Jahren 1700, 1800, 1900, 2100, etc. zur Korrektur gestrichen würden). Aufgrund des damals vorherrschenden Streits zwischen der katholischen Kirche und den reformierten Kirchen setzten die reformierten Länder, aber auch einige katholische sowie die orthodoxen Länder, diese Reform vorerst nicht um. In der Schweizer Eidgenossenschaft wurde diese Neuerung schrittweise eingeführt, zuerst in den meisten katholischen, im Jahre 1700 auch in den meisten protestantischen Territorien.
Insbesondere für lange phänologische Reihen, etwa Weinlese-, Getreideernte- oder Vereisungsdaten, müssen daher alle Informationen in die gregorianische Datierung umgerechnet werden, also auch Daten für die Zeit vor der Kalenderreform von 1582. Dies ist aber in der Forschung aus Unkenntnis nicht immer erfolgt.
Zudem gilt es, die bis zum 16. Jahrhundert üblichen Datierungen nach Heiligenfesten entsprechend in die heute übliche Form der Tages- und Monatsangaben umzurechnen. Dazu ist die Kenntnis der im Rahmen der Historischen Hilfswissenschaften entwickelten Methodiken unumgänglich.