Struktur und Abgrenzung
Euro-Climhist beruht auf schriftlich oder bildlich dokumentierten Wetterbeobachtungen, auf (frühen) Instrumentenmessungen und auf „Proxy-Daten“ vom Hochmittelalter bis heute. Einzelne lange Reihen reichen zum Teil bis ins 15. Jahrhundert zurück und lassen somit Informationen zu Temperatur, Niederschlag oder phänologischen Erscheinungen über Jahrhunderte hinweg vergleichen. Bildquellen zum Zustand der Gletscher über die Jahrhunderte veranschaulichen deren Wachstum und Schrumpfen. Derzeit enthält Euro-Climhist rund 440'000 Daten zu gesamteuropäischen Wetterlagen, 235'000 Daten zur Schweiz und 205’000 Daten zu verschiedenen europäischen Ländern, etwa aus der heutigen Tschechischen Republik, aus Frankreich, Spanien, England, Schweden, den Baltischen Staaten und anderen Ländern (Stand Januar 2024). Auf der Basis internationaler Kooperationsprojekte sollen die mit Detaildaten abgedeckten Regionen kontinuierlich wachsen. All diese Daten geben Auskunft über Wetterereignisse und ihre Folgen für Mensch und Umwelt, wobei für die Schweiz der Schwerpunkt auf der Zeit zwischen 1501 und 1863 liegt, d.h. bis zum Beginn der kontinuierlichen landesweiten Instrumentenmessungen im Netz der heutigen MeteoSchweiz im Jahr 1864. Tägliche Messwerte für die Schweiz ab 1864 sind aufgrund der geltenden Bestimmungen nur über IDAweb, das Datenportal für Lehre und Forschung von MeteoSchweiz, zugänglich. Schrittweise werden derzeit auch Schweizer Daten zum Mittelalter (bis 1500) eingebaut, ebenso auch ausgewählte Wetterdaten ab 1864, etwa summarische Monatsberichte der heutigen MeteoSchweiz (aktuell bis 1930) oder Informationen zu extremen Naturereignissen.
Inhaltliche Abgrenzung zu anderen Datenbanken
Daten, die schon in anderen Kontexten professionell erfasst wurden, sollen in Euro-Climhist bewusst nicht dupliziert werden. Die folgende Übersicht verlinkt daher auf einige der wichtigsten Ressourcen für die Schweiz und Europa.
a) Schweiz
Für Überschwemmungen und Erdrutsche seit 1972 hat die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) die Schadensdatenbank CH aufgebaut, die öffentlichen Institutionen auf Anfrage zur Verfügung steht (Hilker, Badoux, Hegg 2009). Daten über Lawinen werden für die Zeit ab den 1930er Jahren vom WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos gesammelt. Der Zugang zu dieser Datenbank ist kostenpflichtig. Daten über Stürme sind im Sturmarchiv Schweiz zu finden, das stichwortartig in die Vergangenheit zurückreicht, aber weder Quellentexte noch Referenzen ausweist. Ausserdem liegt es nur auf Deutsch vor. Schadensereignisse im späteren 20. Jahrhundert sind – im Unterschied zu Euro-Climhist – somit in unterschiedlichen Datenbanken erfasst, die unterschiedlich weit zurückreichen und unterschiedlich gut mit Belegstellen versehen sind. Zwischen den in Euro-Climhist erfassten Daten und dem Beginn der WSL- bzw. SLF-Datenbank ergeben sich folglich Lücken, die mittelfristig geschlossen werden sollen.
b) Europa
In vielerlei Hinsicht ergänzen und bestätigen die Daten in Euro-Climhist die Ergebnisse der Datenplattform Tambora , die unter der Leitung von Prof. Dr. Rüdiger Glaser an der Universität Freiburg im Breisgau aufgebaut wurde. Tambora ist eine „kollaborative Forschungsumgebung, welche Fragen der Klimarekonstruktion und Umweltveränderungen, den Einfluss auf (historische) Gesellschaften und deren Coping-Strategien im Fokus hat“. Der Ansatz von Euro-Climhist legt zusätzlich einen Schwerpunkt darauf, dass er strikt zwischen zeitgenössischen, meist verlässlichen und nicht zeitgenössischen, zweitklassigen Quellen unterscheidet. Ferner erlaubt es die Einbindung von Bildern und Grafiken. Für die Britischen Inseln wurde mit TEMPEST unter der Leitung von Prof. Dr. Georgina Endfield (University of Liverpool, zuvor University of Nottingham) eine eigene klimahistorische Datenbank mit einem Schwerpunkt auf extreme Witterungsereignissen ins Leben gerufen.
Euro-Climhist nach Orten
a) Europa
Auf europäischer Ebene ist zwischen gesamteuropäischen Überblicksdaten, etwa der täglichen Wetterkarten ab 1763 (27.6%), die auf die Dissertation von Mikhaël Schwander (Genf) zurückgehen (Schwander et al. 2017), und Detailinformationen zu einzelnen Ländern zu unterscheiden. Ein Grossteil dieser Daten stammt von Kooperationspartnern. Auf diese Weise ist aktuell erst eine Auswahl an Regionen im Detail erschlossen, etwa die Tschechische Republik, Schweden, Estland, mehrere Regionen Frankreichs und Englands oder Katalonien; zu Ländern wie den Niederlanden, Luxemburg oder Irland existieren zumindest einige serielle Witterungsdaten. Die Zahl der Daten variiert je nach Quellentyp: Tägliche Witterungsdaten ergeben eine ungleich höhere Zahl als Informationen zu Extremereignissen. Der Anteil an Daten zur Schweiz (62.7%) ist nach wie vor aufgrund der Geschichte von Euro-Climhist sehr hoch.
b) Schweiz
Mit Stand Januar 2024 stammen die meisten Daten zur Schweiz aus den Kantonen Graubünden, Tessin und Wallis (24.3%), gefolgt von Bern und Luzern (21.0%), der Nordostschweiz (19.3%), der Nordwestschweiz (11.1%) und der Romandie (8.8%). Darin spiegelt sich wiederum das numerische Gewicht der täglichen Beobachtungen und der langen Reihen wider. Aus der Zentralschweiz (1.4%) liegen vor allem Berichte über Naturkatastrophen vor. Sofern die Beobachtungen ganze Täler, Gewässer, Gletscher, Pässe und Berge oder grössere Regionen (14.1%) betreffen, können diese in der Regel nicht einem einzelnen Kanton zugeordnet werden. Sie scheinen bei der Abfrage unter ihrem Namen in eigenen regionalen Kategorien bzw. bei der Suche über eine in diesem Gebiet liegende Gemeinden auf, nicht über einen der betroffenen Kantone. Meldungen aus dem benachbarten Ausland über die Schweiz (< 1%) sind selten, aber wichtig, da sie oft Phänomene betreffen, die in der Schweiz selbst nicht oder ungenügend beobachtet wurden. Auffallend wenige Daten, gemessen am demografischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gewicht, betreffen die Kantone Waadt und Freiburg.
Euro-Climhist nach Fünfzigjahresperioden
Die numerische Bedeutung der täglichen Beobachtungen, der langen Messreihen und der seriellen Witterungsdaten wird vor allem bei einem Blick auf die zeitliche Entwicklung der Datenmenge nach Fünfzigjahresperioden deutlich. Dabei ist aber ein deutlicher Unterschied zwischen gesamteuropäischen Daten einerseits und solchen zur Schweiz andererseits erkennbar. Die gesamteuropäischen Daten liegen für die Zeit ab 1763 vor, umfassen je eine Wetterkarte pro Tag und bleiben somit ab dem 19. Jahrhundert zahlenmässig konstant. Bei den Daten zu einzelnen europäischen Ländern liegen zwar zum Teil schon sehr frühe Daten vor, doch zahlenmässig fallen vor allem die instrumentellen Messdaten seit dem späten 18. Jahrhundert ins Gewicht. Für die Schweiz hingegen sind für die Periode nach 1900 nur noch wenige lange Reihen enthalten; instrumentelle tägliche Messwerte ab 1864 sind aufgrund der geltenden Bestimmungen nur über IDAweb, das Datenportal für Lehre und Forschung von MeteoSchweiz, zugänglich. Noch lückenhaft sind die Daten aus den Perioden vor 1400, 1401-1450, 1451-1500 und 1500-1549, in geringerem Masse jene der Periode 1600-1649.
Euro-Climhist nach Kategorien
a) Schweiz
Tägliche Wetterbeobachtungen machen für die Schweiz mit 66.44% den Löwenanteil aus. Messreihen und serielle Witterungsdaten stehen mit 23.04% an zweiter Stelle. Dahinter folgen die pflanzen- und tierphänologische Daten (6.06%), die Temperatur- und Niederschlagsindizes (2.71%) sowie Wirtschaftsdaten (z.B. Grösse der Getreidesorten, Wein- und Obsternten, Getreidepreise etc.) mit 1.2%. Witterungsschäden und Naturgefahren (0.51%) sowie soziopolitische Daten (0.03%) bilden einen geringen Anteil.
b) Europa
Etwas anders gestaltet sich die Zusammensetzung für die Daten zu Gesamteuropa inklusive der Schweiz: Hier machen tägliche Wetterbeobachtungen 46% aus, Messreihen und serielle Witterungsdaten 45.1%. Dahinter folgen die Proxy-Daten (5.4%), die Temperatur- und Niederschlagsindizes (1.9%) und die Wirtschaftsdaten (1.1%). Naturgefahren und Schäden (0.4%) sowie die soziopolitischen Daten (0.1%) bilden einen geringen Anteil.
Lange Reihen
Folgende Beobachtungsgrössen sind in Form langer Reihen abrufbar:
a) Deskriptive Witterungsbeobachtungen (10 Reihen)
- Deskriptive Witterungsbeobachtungen liegen zu diversen Schweizer Städten vor, zudem monatliche Witterungsberichte für 1764-1790 sowie 1820-1930 als Überblicksinformation. Die bisher nur im Druck verfügbaren monatlichen Witterungsberichte der heutigen MeteoSchweiz und ihrer Vorläuferinstitutionen (1861-1999) wurden für Euro-Climhist digitalisiert und sind derzeit bis 1930 abrufbar. Von 2000 an sind die monatlichen Klimaberichte auf der Homepage von MeteoSchweiz greifbar. Für die Zeit zwischen 1878 bis 1881 wurden allein Messungen publiziert, selbst in der Presse, weil damals in der Meteorologie allein Zahlenreihen in Mode waren. Deshalb fehlen beschreibende Berichte für diese vier Jahre. Zudem verfassten Privatpersonen regionale monatliche Witterungsberichte für die Perioden 1764 bis 1790 sowie 1820 bis 1860.
b) Instrumentelle Messreihen sowie rekonstruierte Temperatur- und Niederschlagsverläufe (70 Reihen)
- Messreihen der monatlichen, saisonalen und jährlichen Mitteltemperatur mit Angaben in °C liegen etwa für Neuchâtel-Genf (ab 1753), Basel (ab 1755), den Grossen St. Bernhard (1819-1960) oder das Schweizer Mittelland insgesamt vor. Auf internationaler Ebene sind insbesondere die rekonstruieten bzw. gemessenen Temperaturreihen für Paris (ab 1658), Barcelona (ab 1780) und Stockholm (ab 1502) herausragend. Für den Osten England (Norwich) existiert eine lange Temperaturreihe für den Spätfrühling und Frühsommer (April bis Juli) sogar zum Spätmittelalter (1264-1431).
- Für die gleichen Schweizer Städte und Regionen liegen auch Werte zu den monatlichen, saisonalen und jährlichen Niederschlagsmengen vor. Für Luzern beginnen diese schon 1579, brechen dann aber nach 1613 ab; die Zürcher Daten sind – mit Unterbrechungen ab 1684 überliefert; die übrigen Serien setzen im Laufe des 18. oder beginnenden 19. Jahrhunderts ein.
- Daten zu europäischen Wetterlagen ab 1763 sind auch in Form von langen Serien erfasst, d.h. es lassen sich auf diese Weise Vergleiche über fast 350 Jahre zur monatlichen oder jahreszeitlichen Häufigkeit bestimmter Wetterlagen herstellen.
c) Proxy-Daten (46 Reihen)
- Mehrere Reihen betreffen Wildpflanzen, konkret zum Haselstrauch sowie zur Blattentfaltung von Rosskastanien und Buchen. Die Genfer Reihe ab 1808 (nach Stoller, Beer 1994 sowie der Webseite „Marronnier officiel“) orientiert sich am sogenannten „Marronnier officiel“, doch ist die Blattentfaltung in Genf durch die in den letzten Jahrzehnten massive Erwärmung in der Stadt verfälscht.
- Deutlich zahlreicher sind phänologische Reihen zu Kulturpflanzen. Zu Getreide und Wein wurden vielerorts nicht nur die Erntedaten erfasst, sondern auch verschiedene andere Wachstumsphasen, die jeweils Rückschlüsse auf die Witterung in bestimmten Monaten bzw. Jahreszeiten erlauben. Weiter sind auch die Menge und die Qualität des Weinmosts indirekte Klimazeiger. Dazu kommen Serien zur Blüte von Kirsch- und Birnbäumen; dieses Datum hängt im Wesentlichen von den Temperaturen im März und April ab (Serie nach Rutishauser, Studer 2007). Die Serien beziehen sich auf zahlreiche Standorte in der Schweiz, Weinlesedaten und Angeben zu Weinmosterträgen aber auch auf Ostfrankreich, Luxemburg, Süddeutschland und die Tschechische Republik. Sie reichen mitunter weit zurück: Die Serie zu Weinlesedaten aus Beaune in Burgund umfasst sogar mehr als 650 Jahre (1354-2018).
- Die meisten Serien zur Schneebedeckung sowie zur Vereisung von Gewässern beziehen sich auf die Schweiz, doch auch für die Niederlande ist eine Serie zur Dauer der Vereisung von Kanälen (1539-1839) enthalten. Das Ausmass und die Dauer der Vereisung hängen im Wesentlichen von den Temperaturen in den vorangehenden Wochen im Spätherbst und Winter ab.
- Für einen Langzeitvergleich wurden auch zwei Serien zu Baumringdaten aus dem Lötschental im Schweizer Kanton Wallis aufgenommen, die bereits im Jahr 755 einsetzen (Serien nach Büntgen et al. 2006). Die Befunde zu Jahresringbreiten (Angaben in mm) hängen teilweise von den Temperaturen von Juni bis August ab, die zu Jahresringdichten (Angaben in g/cm3) von den Temperaturen von Juni bis September.
- Datumsangaben sind in der Regel in der Form „Tag ab Neujahr“ angegeben.
d) Wirtschaftsdaten (7 Reihen)
- Getreidepreise hängen von verschiedenen Faktoren ab. Die – vorwiegend witterungsbedingte – Grösse der Ernte ist nur einer davon. Die Zürcher Reihe zu Dinkelpreisen geht bis ins Jahr 1540 zurück, die zu Roggenpreisen in Nürnberg sogar bis 1339. Wirtschaftsgeschichtliche Daten zu Weinmosternten sind ebenfalls über mehrere Jahrhunderte verfügbar (1529-1966). Dabei ist auch die Abweichung vom langjährigen Trend erfasst.
e) Pfister-Indizes (4 Reihen)
- Pfister-Temperatur-Indizes zur Schweiz, d.h. die geschätzte Grössenordnung der saisonalen sowie monatlichen Mitteltemperatur, sind für die Zeit zwischen 1550 und 1863 verfügbar.
- Analog sind auch die saisonalen und monatlichen mittleren Niederschläge in der Schweiz über die Pfister-Niederschlags-Indizes für 1550-1863 langfristig vergleichbar.