Euro-Climhist – Eine lange Geschichte
Die klimahistorische Datenbank Euro-Climhist ist über einen Zeitraum von mittlerweile mehr als 40 Jahren kontinuierlich gewachsen. Die Anfänge liegen sogar noch in den 1970er-Jahren, damals auf der Basis von Lochkarten. Einen ersten wesentlichen Impuls für die internationale Ausrichtung auf ganz Europa erhielt sie in den frühen 1990er-Jahren im Rahmen eines Projekts und mehrerer Konferenzen der European Science Foundation. Aufgrund fehlender finanzieller Mittel entwickelte sich das Projekt zwischen 1995 und 2009 nur sehr langsam weiter. Schliesslich erfolgte ab 2010 eine Ausweitung und Professionionalisierung auch im Bereich des technischen Personals, was durch namhafte Zuwendungen seitens des Global Climate Observing System (GCOS) Schweiz beim Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz ermöglicht wurde. Damit kann heute ein allgemeiner, webbasierter Zugang zur Datenbank bereitgestellt werden; kontinuierlich sind nicht nur neue Datenbestände eingeflossen, sondern es wurden auch grundlegende technische Erneuerungen durchgeführt.
Im Zeitalter der Lochkarten (1977-1989)
Die Geschichte von Euro-Climhist beginnt mit einem Forschungsstipendium des Schweizerischen Nationalfonds (1975-1977), im Rahmen dessen Christian Pfister den Grundstein für seine spätere Habilitationsschrift zur Klimageschichte der Schweiz legen konnte. Inspiriert war dieses Werk durch Emmanuel Le Roy Laduries bahnbrechende „Histoire du climat depuis l’an mil“ (1967) und durch Hubert Horace Lambs „Climate, Present, Past and Future“ (1977). Le Roy Ladurie (1929-2023) war ein Historiker mit einem Flair für die Geschichte des Klimas, Lamb (1913-1997) ein Klimatologe mit einem Flair für die Menschheitsgeschichte. Die „Klimageschichte der Schweiz“, Pfisters Habilitationsschrift, erschien 1984 und beruht auf 34‘000 Daten aus zahlreichen Archiven, aus denen Temperatur- und Niederschlagsindizes hergeleitet wurden. Dafür wurde seit den späten 1970er Jahren ein Software-Paket namens SRTCLIM auf der Basis der Programmiersprache PL-1 entwickelt, im Rahmen dessen Tausende von Lochkarten zu erstellen waren. Die Dokumentation CLIMHIST-CH wurde ab 1985 Bibliotheken und wissenschaftlichen Institutionen in Form von Mikrofiches und Paper-Printouts verkauft, da es im „Ancien Régime der Informationstechnologie“ keine anderen günstigen Publikationskanäle gab. Einzig die Papierversion hat die zahlreichen IT-Umwälzungen in den folgenden Jahren überlebt, was für die Fortsetzung des Projekts ausschlaggebend war.
Ein Kind der „European Science Foundation“ (1990-1994)
An der Wiege von Euro-Climhist steht das 1989 von Burkart Frenzel lancierte Projekt „European Paleoclimate and Man since the Last Glaciation“ der „European Science Foundation“ (ESF). Es war darauf angelegt, den Einfluss des Menschen auf das Klima zu klären. Lamb hatte umgekehrt nach dem Einfluss des Klimas auf die Menschheitsgeschichte gefragt und zu diesem Zweck 1979 eine internationale „Conference on Climate and History“ nach Norwich (England) einberufen. Sie vereinigte mehr als 250 Vertreter:innen der Geschichte, Geografie, Klimatologie und Archäologie, die bisher mehr oder weniger isoliert gearbeitet hatten. Die Historische Klimaforschung fand ihren Platz im ESF-Projekt in der Rekonstruktion von Witterung und Klima anhand von Dokumentendaten; Christian Pfister wurde mit der Leitung der entsprechenden Arbeitsgruppe betraut.
Die ESF-Konferenzen von Mainz (1990) und Bern (1992)
Ein erstes Treffen im Rahmen dieses Projekts kam im März 1990 in Mainz zustande, um eine gemeinsame Forschungsstrategie zu entwickeln (Frenzel, Pfister, Gläser 1992). Unter den Geladenen befanden sich spätere führende Vertreter der Historischen Klimatologie, unter ihnen Rudolf Brázdil von der Masaryk-Universität in Brno und Rüdiger Glaser, der heute in Freiburg/Breisgau lehrt. Die Teilnehmenden beschlossen, Daten für ein spezifisches Zeitintervall, das späte Maunder Minimum (1675-1715), zusammenzutragen, das für seine häufigen Wetterextreme bekannt ist. Das Projekt schuf die Möglichkeit, junge Forschende aus den Partnerländern nach Bern einzuladen, wo sie sich mit der Methode vertraut machten. Einige unter ihnen, so Petr Dobrovolný aus der Tschechischen Republik, Elena Xoplaki aus Griechenland und Lajos Rácz aus Ungarn, traten später als (historische) Klimatolog:innen in ihren Ländern führend hervor.
Eine zweite ESF-Tagung unter dem Titel „Climatic Trends and Anomalies in Europe 1675-1715“ fand vom 3. bis 5. September 1992 im Haus der Universität in Bern statt (Frenzel, Pfister, Gläser 1994). Sie vereinigte 51 Vertreter:innen der (Historischen) Geografie, Geschichte, Dendroklimatologie, Meteorologie und Klimatologie aus 15 europäischen Nationen sowie aus China und Japan. Es war dies das erste internationale Symposium, für das die Teilnehmenden vorgängig verschiedene Arten von klimageschichtlichen Daten – frühe Instrumentenmessungen, erzählende Dokumentendaten, Klimadaten aus Baumringanalysen und andere Proxy-Daten – für eine gemeinsame Datenbank zu liefern hatten, die in Form von chronologisch, räumlich und thematisch geordneten Listen sowie monatlichen historischen Wetterkarten ausgegeben wurden.
Das Material sollte in Zukunft in eine Datenbank namens EURO-CLIMHIST integriert werden, wo es standardisiert, verarbeitet und nach dem Muster Horace Hubert Lambs (Lamb 1997) und John Kingtons (Kington 1994) systematisch in historische Wetterkarten umgesetzt werden sollte (Pfister et al. 1994; Wanner et al. 1994).
Die erste Euro-Climhist-Datenbank
Die erste Euro-Climhist Datenbank wurde mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) durch Hannes Schüle, Gudrun Kleinlogel und Erich Siffert auf der methodischen Grundlage von CLIMHIST-CH geschaffen. Das Unterfangen erwies sich als aufwändig, weil das Codebuch um neue Codes (z.B. für Eisberge) und neue Datentypen (z.B. Schiffstagebücher) stark erweitert werden musste.
Für die Konferenz in Bern wurde schliesslich ein Set von 492 monatlichen historischen Wetterkarten geschaffen.
Die vergleichende Interpretation von historischen Wetterkarten
Die meteorologische Interpretation dieser Karten erwies sich als anspruchsvoller als erwartet.
Im Mai 1993 trat auf Einladung des Dänischen Meteorologischen Instituts in Kopenhagen eine Gruppe von Klimatolog:innen unter Leitung des Schweizers Heinz Wanner zusammen. Wanner hatte sich an der Berner Tagung für die Methode einer synoptischen, d.h. vergleichenden Interpretation von historischen Wetterkarten begeistern lassen. Im Verlaufe einer Woche gelang es dem Team, 200 solcher historischer Wetterkarten synoptisch zu interpretieren (Wanner et al. 1994).
Prof. Dr. Heinz Wanner, später Professor für Klimatologie in Bern, sollte einer der führenden Forscher auf diesem Gebiet werden. Sein Schüler Jürg Luterbacher, der später eine Professur für Klimatologie in Giessen innehatte und seit 2020 als Direktor des Science and Innovation Department de World Meteorological Organization (WHO) in Genf tätig ist, entwickelte eine weltweit anerkannte statistische Methode zur räumlichen Rekonstruktion von Temperatur, Luftdruck und Niederschlag auf der Basis von Daten aus Archiven der Natur und der Gesellschaft (z.B. Luterbacher et al. 2002).
Räumliche Darstellung der Witterungsinformation aus Dokumentendaten, Mai 1698. Dieser Mai gehört zu den kältesten der letzten 500 Jahre. Quelle: Pfister et al. 1994: 363.
Europäische Grosswetterlagen für Dezember 1694, Januar 1695 und Februar 1695. Quelle: Wanner et al. 1994: 416.
Im Dornröschenschlaf (1995-2009)
Ab Mitte der 1990er Jahre wurde weniger nach Dokumentendaten zur Klimarekonstruktion gefragt. Das ESF-Projekt lief aus, der Elan aus den frühen 1990er Jahren versandete. Euro-Climhist wurde nur noch auf Sparflamme mit Restkrediten und bescheidenen Eigenmitteln weitergeführt, so namentlich zur Integration von mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Daten, die das Ehepaar Werner und Gabriela Schwarz-Zanetti im Rahmen ihrer Dissertationen gesammelt hatte. Immerhin blieb das Forschungsnetz weitgehend bestehen, das im Rahmen des ESF-Projekts aufgebaut worden war. Eine Fortsetzung fanden diese Anstrengungen 1999 bei der Erarbeitung eines Sonderbandes über das europäische Klima im (späten) 16. Jahrhundert und seiner Bedeutung für die Wirtschafts- und Kulturgeschichte (Pfister, Brázdil, Glaser 1999). Urs Dietrich-Felber (2008) und Max Burri gestalteten Euro-Climhist nach 2000 zu einer Datenbank auf der Basis von Microsoft Access aus, was sich aber rasche als nicht mehr zukunftsweisend herausstellte.
Neustart im Zeitalter des Internets (ab 2010)
Im Juni 2009 nahm der Bundesrat Euro-Climhist in die Liste der langfristig zu erhaltenden Schweizer Datenplattformen von internationaler Bedeutung auf. Dieser Beschluss erlaubte längerfristig eine Neukonzeption und den Ausbau von Euro-Climhist zu einem öffentlichen, internetbasierten Informationssystem. Nach der Emeritierung von Christian Pfister übernahm sein Nachfolger am Lehrstuhl für Umwelt- und Klimageschichte, Christian Rohr, das Management von Euro-Climhist. Das Projekt wurde nun nicht mehr nur durch das Oeschger Zentrum der Universität Bern und die Abteilung für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte (WSU) des Historischen Instituts der Universität Bern getragen, sondern seit dem 1. Juli 2010 auch vom Global Climate Observing System (GCOS) Schweiz beim Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz unterstützt. Dies erforderte die Entwicklung eines neuen, systematischen Kategoriensystems. Die bis dahin rund 2400 Codes für Witterungserscheinungen wurden auf knapp 300 Codes zusammengefasst, doch ohne Einbusse an Detailschärfe durch den Einbau von unbeschränkt erweiterbaren Komplementärcodes. Zudem wurden einige Zehntausend neue Daten aufgenommen. Am 3. Mai 2012 wurde das Release 1 von Euro-Climhist aufgeschaltet, doch musste es wegen Kinderkrankheiten bald vom Netz genommen werden. IT-seitig litt das Projekt dann mehr als zwei Jahre unter Vakanzen im technischen Bereich. Ab Dezember 2014 konnte Antoine Jover als Datenbank Manager das Projekt in intensiver Zusammenarbeit mit Matthias Fries binnen weniger Monate für das Going Public im Jahr 2015 aufbereiten. 2022-2023 erfolgte durch Matthias Fries und Lukas Würsch ein umfangreicher Relaunch, um das Betriebssystem fit für die nächsten Jahre zu machen.
Wie weiter?
Euro-Climhist wird seit mehreren Jahren auf europäischer Ebene durch Kooperationsprojekte erweitert, indem Forschungsgruppen ihre Daten unter Verwendung der für Euro-Climhist entwickelten Methodik und Software publizieren. Die entsprechenden Daten bleiben Eigentum der jeweiligen Autor:innen. Jeder Datensatz ist mit dem Kürzel der entsprechenden Beitragenden gekennzeichnet. Die Euro-Climhist-Verantwortlichen leisten Hilfestellungen bei der Aufnahme, Verarbeitung und Integration der Daten. Damit kann die für überregionale Forschung nötige Vereinheitlichung des Datenfeldes erreicht und zugleich die eigenständige Autorschaft regionaler Gruppen gewährleistet werden. Für den Bereich der Dateneingabe wurde 2023 ein eigenes Tool mit Eingabemaske entwickelt, das sowohl den Eingabe- als auch Evaluierungsvorgang nachhaltig erleichtern und beschleunigen soll. Die Co-Finanzierung durch GCOS Schweiz ist vorerst bis Ende 2027 gesichert.