Beschreibungen von Naturkatastrophen
Anhaltende Niederschläge im Raume des Gotthards und der östlich anschliessenden Gebiete führten Ende September 1570 zu verheerenden Überschwemmungen. Im Kanton Uri wurden fast alle Brücken weggerissen und der Saumpfad über den Gotthard wurde dermassen beschädigt, dass ihn die Anwohner mit grossen Unkosten wieder neu erstellen mussten. Die Abbildung zeigt die Katastrophe im Maggiatal (Kanton Tessin): Grosse Bauhölzer und entwurzelte Bäume stauten die Maggia unterhalb von Mogno, worauf diese nach dem Durchbruch weiter südlich alle Strassen und Brücken im Tal zerstörte, Dutzende von Häusern, 14 Mühlen und 75 Heuschober mitriss und grosse Teile des Kulturlandes überschüttete. Ein Todesopfer war zu beklagen (Pfister 1999: 233).
Berichte über Hochwasser sind seit dem Mittelalter in Chroniken, später auch in Witterungstagebüchern und in Form von Hochwassermarken überliefert. Die meisten Chronisten verglichen die Grössenordnung einer Überschwemmung mit entsprechenden älteren Ereignissen. Ihre Höhenangaben bezogen sie nach Möglichkeit auf Merkpunkte an Brücken und Gebäuden, die bereits ihren Vorgängern als Massstab gedient hatten. So lesen wir in der aus Basel stammenden, anonym überlieferten „Chronik der Mailänderkriege“ zum Jahr 1511 über das Hochwasser des Rheins in Basel: „Im 1511 jaur uff sant Marien Magdalenen tag [22. Juli 1511] was der Ryn zu Basel so grosz worden, das man von den zünfften knecht nam und ynen bot by dem eyd, das saltz im saltzhus usz den underen kasten inn die oberen zu tragen. Dann der Ryn wuchs so hefftig, das man besorgte, es wurde geschechen, wie 31 jaur darvor [1480] in der wassergroessi ouch beschach [geschah]. Und meint man, es wurden dry joch an der Rinbrucken hinweg faren; aber sy bleiben. Und gieng der Ryn an der Schifflüten pfyler, […]“. Anhand des mit einem Erker und einem Schild geschmückten Pfeilers der Basler Rheinbrücke lässt sich abschätzen, dass der Strom am 1. August 1511 etwa so hoch stand wie am 13. Juni 1876.
Von 1641 an wurde das Niveau grosser Hochwasser am so genannten Schönbein-Haus, Oberer Rheinweg 93 in Kleinbasel dokumentiert. Für die Zeit ab 1808 liegen tägliche Pegelmessungen vor, die von 1908 durch Abflussmessungen ergänzt wurden, so dass Querbezüge zu den Hochwassermarken und den Beschreibungen hergestellt werden können. Von 1268 an konnten die grössten Überschwemmungen des Rheins rekonstruiert werden.
Über schwere (Winter-)Stürme in West- und Mitteleuropa vor dem Beginn des offiziellen Messnetzes im Jahre 1864 wissen wir nur wenig, weil erzählende Berichte in Dokumentendaten bisher kaum zur Kenntnis genommen worden sind. Auch die Daten für die Schweiz sind bisher nur punktuell ausgewertet. Bekannt ist, dass der auch in Euro-Climhist mehrfach nachgewiesene Orkan „Prisca“ am 18. Januar 1739 eine breite Spur der Verwüstung durch Frankreich, Südwestdeutschland und die Schweiz zog. „Prisca“ war der Höhepunkt in einer Serie von Stürmen, die bezüglich ihrer Dauer und Intensität in West- und Mitteleuropa einzigartig ist. Die Dauer und Intensität von „Prisca“ sowie die angerichteten Schäden an Wäldern und Gebäuden sind mit jenen des Orkans „Lothar“ am 26. Dezember 1999 vergleichbar. Dennoch wurde dieses Ereignis aus den offiziellen Chroniken ausgeblendet. Der Grund könnte darin liegen, dass die bescheidenen Mittel der öffentlichen Hand bei weitem nicht ausreichten, um auch nur einen kleinen Teil der entstandenen gewaltigen Schäden an Gebäuden und Kulturen zu decken. Stattdessen schrieb der Kanton Zürich einen öffentlichen Bettag aus, an dem mindestens ein Mitglied jedes Haushalts teilzunehmen hatte (Pfister et al. 2010). In Euro-Climhist sind zahlreiche Stürme dokumentiert, die ähnlich wie „Prisca“ und „Lothar“ bedeutende Schäden an Gebäuden und Wäldern verursachten. Auf internationaler Ebene werden durch ein Kooperationsprojekt mit der Universität Tallinn (Estland) schrittweise Daten zu Stürmen im Ostseeraum eingebaut.
Lawinen sind erst relativ spät in den Quellen ausführlicher dokumentiert, nicht zuletzt deswegen, weil die Schriftlichkeit in entlegenen Alpentälern geringer war als im städtischen Bereich. Die ersten Nachrichten von zerstörerischen Lawinenabgängen reichen zwar für die Schweiz bis ins Hochmittelalter zurück, wirklich ausführlich werden sie aber erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Zudem spielt es für die Auswertung eine Rolle, ob diese Berichte nur auf der Basis von Erzählungen Dritter niedergeschrieben wurden, auf zufälligen Einzelbeobachtungen basieren – so etwa vom Genfer Naturforscher Horace-Bénédict de Saussure (1740-1799) über einen Lawinenabgang in Amsteg (UR) im Jahr 1795 – oder von Ortskundigen mit einem breiten Erfahrungswissen zu Lawinen aufgezeichnet wurden. Eine besondere Stellung nimmt dabei Pater Placidus Spescha (1752-1833) ein, der zunächst als Hirtenjunge in Trun (GR) aufwuchs, dann eine klösterliche Ausbildung in Disentis und Einsiedeln erhielt und später als Kooperator in mehreren Pfarren des Vorderrheingebietes zahlreiche Erstbesteigungen in der Region unternahm. Seine Verarbeitung von Schilderungen Dritter zu den katastrophalen Lawinenwintern von 1749 und 1808 sowie seine Augenzeugenberichte zu 1817 lassen ein hervorragendes Verständnis für Ursachen und Ablauf von Lawinenabgängen erkennen; ja, er schlug auch die Errichtung von alpinen Musterdörfern vor, um die Lawinengefahr für die Bevölkerung zu vermindern (Rohr 2014).